Für die 20-jährige Chronik der Cittaslow haben wir folgenden Text über die Geburtstagsfeier zum 10-jährigen im Rahmen des Bürgerfestes der Feuerwehr erstellt.
Wenn man sich mit gesellschaftlichen Strukturen in einer Kleinstadt beschäftigt, stößt man in Hersbruck sehr schnell auf die Feuerwehr. Von allen Vereinen und Organisationen spielt sie eine herausragende Rolle. In Hersbruck veranstaltet sie seit vielen Jahren ein sehr beliebtes Bürgerfest, das 2011 erstmals um eine Cittaslow-Geburtsgsfeier ergänzt wurde. Damals erinnerte Anfang des Jahres Möbelmacher herwig Danzer Bürgermeister Robert Ilg an das 10-jährige Jubiläum der Urkundenverleihung. „Wir sollten die Cittaslow jetzt entweder bleiben lassen, oder einen Neuanfang machen“ war sein Vorschlag, worauf einige ernsthafte Diskussionen im Stadtrat und unter den historisch Beteiligten geführt wurden. So entstand die Cittaslow-Feier, die sich an das etablierte Bürgerfest der Feuerwehr anhängte.
Das war einerseits eine gute Idee, weil man mit einem großen Fest nicht nur die üblichen Intellektuellen, sondern deutlich mehr Bevölkerungsgruppen erreichen kann. Andererseits ist es nicht ganz leicht, bei Bier und Schäufele Gehör für regionale Wirtschaftskreisläufe, Entschleunigung und Vernetzung zu finden. Aber es war ja als Startschuss für neue Cittaslow-Aktivitäten gedacht, für die neue Mitstreiter in allen Bevölkerungsgruppen gesucht wurden und damit auch erfolgreich. Also fragte herwig Danzer am 26. Juni 2011 zwischen 11:00 und 16:00 Uhr auf der Bühne neun Mitstreiter zu ihren Erfahrungen mit und neuen Ideen für die Cittaslow und hakte auch mal kritisch nach. Zwischen den Interviews gab es von der gleichen Bühne gute handgemachte Live-Musik.
Politiker und Aktivisten im Interview
Während Landrat Armin Kroder die Cittaslow Hersbruck in Hersbruck als „Speerspitze der Nachhaltigkeit in unserem Landkreis“ bezeichnete, bedauerte Bürgermeister Robert Ilg, dass das Thema Cittaslow in der Bevölkerung nicht immer nur positiv belegt sei, weshalb die Philosophie noch aktiver kommuniziert werden müsse. Der Stadtrat sei einer Meinung, dass wir das Alleinstellungsmerkmal Cittaslow mit Kunst und Kultur, mit Musik und natürlich mit Essen und Trinken kombinieren müssten. Dazu sind die Workshops geplant, die zweite Bürgermeisterin Brigitta Stöber anhand der heute erstellten Emailliste der Interessierten bald starten wird und so war es dann ja auch.
Rainer Wölfel vom Naturschutzzentrum Wengleinpark war als Generation 50plus etwas irritiert als „Zeitzeuge“ vorgestellt zu werden. Dabei war es doch er, der das 1985 gegründete Hutangerprojekt rund um die einzigartigen ortsnahen Weideflächen im Allgemeinbesitz (Almendeflächen) der Hersbrucker Alb weiterentwickelte. Im Jahr 1996, also lange vor der ersten Slowcity in Italien 1999 entwickelte sich daraus die Voraussetzung für Hersbrucks erfolgreiche Bewerbung. Dabei setzte er den Direktvermarktern kein fertiges Konzept vor die Nase, sondern entwickelte den später „Heimat auf dem Teller“ genannten Verein von unten nach oben, gemeinsam mit den Mitstreitern. Er bot eine Anlaufstelle, damals übrigens noch ohne öffentliche Förderung. Auf dem gleichen Weg entstand die Streuobstinitiative und der Tag der Regionen, erstmals 1998 bei den Möbelmachern, aus dem sich auch der Initiativkreis Holz aus der Frankenalb entwickelte.
Beim gemeinsamen Sammeln des Materials für die Cittaslowbewerbung wurde schnell klar, dass die entscheidenden Impulse vom Naturschutzzentrum stammten, weshalb Wölfel im Interview auch nicht sehr euphorisch war. Am Anfang habe er sich gefreut, dass seine Direktvermarkter richtig stolz auf die Aufnahme in die Vereinigung der lebenswerten Städte durch extra aus Italien angereiste Bürgermeister waren, denn immerhin haben sie selbst dafür den Grundstock gelegt. Gastwirt Peter Bauer zum Beispiel schlug ihm an diesem Abend einst auf die Schulter: „Ist schon klasse, was wir da geschafft haben Rainer!“
„Aber es gelang uns nicht genug, Cittaslow in die Köpfe und Herzen der Bevölkerung zu bringen. Das Marketingpfund, das zu Artikeln im Wirtschaftsmagazin Brandeins, im Dossier von „DIE ZEIT“ und in japanischen Magazinen führte, wurde zu wenig genutzt und das ursprünglich eingesetzte Gremium, das gerne Anregungen gegeben hätte (ohne die ganze Arbeit leisten zu können), hat nie getagt.“
Ganz nebenbei wusch Wölfel noch Kritikern den Kopf, die ständig über den damaligen Namen Slow-City lästerten: „Zum einen ist die Bewegung aus der Slow Food Bewegung entstanden, weshalb kein Weg am Wörtchen „Slow“ vorbeigeht, und zum anderen kann man nicht neu in eine bestehende internationale Vereinigung aufgenommen werden und dann erstmal den Namen anzweifeln. Amerikanischen Besuchern erklärte er einst den Begriff „Kuhhirte“ als Cowboy ohne Pferd. Gleichzeitig wieß er das erste Mal darauf hin, dass man ab jetzt für die Hutanger und die Weidekühe auch Patenschaften übernehmen kann. Die Paten erfahren die Schlachttermine und dürfen das Fleisch kaufen, was eine geniale Überleitung zum Mittagessen der Schäufele von den Miniköchen darstellte.
Biobauer Fritz Leipold ist ebenfalls Pionier der Biolandwirtschaft und gerade von den neuen EU-Vorgaben gernervt, die seiner Meinung nach in Deutschland und im Nürnberger Land besonders streng ausgelegt werden, während andere Länder diese Vorschriften eher entspannt angingen. Er forderte, dass eine Cittaslow auch Lobbyarbeit für Direktvermarkter, für die Kleinen machen müsse, sonst werde es diese Struktur bald nicht mehr geben.
Reisefachfrau Ursula Wilfing in Hersbruck, unter dem Ehrentitel „Ulla aus Italien“ bekannt, ist in Franken aufgewachsen hat nach Italien geheiratet und dort eine Hotel- und Reiseleiterinausbildung absolviert. Nach ihrer Rückkehr organisierte sie schon einige Reisen an ihre geliebte Amalfiküste, also genau dorthin, wo die Cittaslowbewegung herkommt. Geniale Unterstützung fand sie dafür bei der Buchhändlerfamilie Martin und Ulrike Lösch, die die langen Busreisen mit Hörbüchern, Lesungen oder anderen Infos verkürzten und zu spannenden Lernorten umformten. Mit ihrem Zitronenlikör Limoncello machte sie im Interview Werbung für die erste Cittaslowreise, die später ein voller Erfolg werden sollte. Wie sonst kann man andere Cittaslows und deren Bürgermeisterpersönlichkeiten und die Bevölkerung kennenlernen und von Ursulas alten Kontakten in die Region profitieren?
In der Zwischenzeit haben sich auf der Bühne die Miniköche für ihren Schäufelekocheinsatz beklatschen lassen, der Schäufelekönig Waldemar der Erste erklärte dieselben kraft seines Amtes für gelungen. Im Anschluss erzählte er von seinen Erfahrungen auf Tourismusmessen in ganz Deutschland, wo die Menschen wahnsinnig interessiert an der Vereinigung Cittaslow seien, nach seinem Gefühl sogar noch mehr, als die Hersbrucker selbst. Moderator herwig Danzer gab zu, dass er die Idee zum Schäuferle-König zunächst ziemlich albern fand, aber die Art, wie Waldemar seine Aufgabe sympathisch, kompetent und uneitel umsetzt, sei beeindruckend und ganz sicher ein ganz wertvoller Beitrag zur Cittaslow Hersbruck.
Die Idee des Botschafters kam auch beim nächsten Interview zur Sprache, als man den Marketingmann der als Sponsor auftretenden Raiffeisenbank, Klaus Rosteck, nach neuen Ideen für die Cittaslow befragte. Als erste Blogger einer Raiffeisenbank plädierte er natürlich für eine digitale Vernetzung aller Teilnehmer aber eben auch für die Einführung von Cittaslowbotschaftern in jeder Altersstufe, die die Idee in die Schulen, in die Vereine und in alle Organisationen tragen sollen. Denn die größte Chance der Cittaslow bestünde in einer aktiven Vernetzung wirklich aller Gruppen.
Der Bildhauer, Architekt und Vorsitzende des Hersbrucker Kunstvereins Uli Olpp gratulierte als einziger Hersbruck herzlich zum 10 Geburtstag, lobte einige positive Entwicklungen, aber forderte auch, dass Hersbruck noch viel lernen müsse. Damit meinte er nicht nur die planungstechnisch etwas schiefgelaufene Bewerbung und Platzierung des Kunstgeschehens an diesem Tag, sondern er forderte vor allem eine Professionalisierung auf allen kommunikativen und organisatorischen Ebenen. Ein Mann oder eine Frau, die Regionalmangerin, Cittaslowkoordinator oder einfach Kulturchefin heißen könnte und die genau diese Dinge organisiert, die bisher eher improvisiert oder eben gar nicht geschehen. Leider fehlt es dafür bis heute dem Stadtrat trotz aller Beteuerungen am Willen, vielleicht aber auch am Geld.
Pünktlich zum Interview war auch Altbürgermeister Wolfgang Plattmeier direkt aus Polen angereist, wo er in seiner Funktion als Repräsentant der Cittaslow Deutschland weiterhin seinen damaligen Aufgaben als Vorsitzender von Cittaslow Deutschland seit 2001 nachkommt. Während des Interviews 2011 war die Vereinigung der lebenswerten Städte bereits in 164 Ländern der Welt präsent. „Wenn man in Südkorea selbst erlebt, wie der Staat wegen der Vorteile regionaler Orientierung und Wirtschaftskreisläufe diese Idee unterstützt, kommt man als Europäer schon ins Grübeln.“ In Polen hätten sie einige der Aufnahme-Kriterien verschärft, insbesondere beim Thema Müll, der in Deutschland nur ein kleines, in Süditalien aber ein sehr großes Problem sei.
Plattmeier ist Herbrucks Cittaslow Draht nach draußen, weil er nicht nur bei allen internationalen Veranstaltungen zugegen ist, sondern auch im Straßburger Europarat die Cittaslow vertritt. Die genaue Definition, wer wen wo vertritt müssen Robert Ilg und er bei Gelegenheit nochmal etwas genauer definieren. Bis heute weiß niemand, ob das jemals erledigt wurde, aber Ilg bedankte sich herzlich für das Schnecken-Cappi aus Polen, aber vor allem für die Mitgliedschaft in der Cittaslow für die letztlich Plattmeiers Weitblick verantwortlich war – auch wenn er beim ersten Gespräch darüber herwig Danzer gefragt habe, ob er spinne, Hersbruck sei doch keine langsame Stadt!
Das Video der Interviews kann man hier anschauen. Es ist zwei Stunden lang und noch nicht geschnitten. Vielleicht können wir ja noch die Anfangszeiten des Interviews anhängen, aber eigentlich sind auch manche Szenen – vor allem die Musik – dazwischen interessant. Scrollen Sie doch ein wenig, es wird sich lohnen.
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