Am 18. Mai 2001 wurde Hersbruck zur Cittaslow oder Slow City, wie sie damals noch genannt wurde. Ein paar engagierte Menschen schreiben gerade an einer Chronik und nicht zuletzt für die ist auch dieser ausführliche Artikel über die überregionale Pressearbeit gedacht, auf dass sie daraus auswählen mögen, was in die Chronik darf. Natürlich werden wir stark kürzen, denn es gibt ja im Jahr 2022 nicht genug Papier für die Sammlung aller Meilensteine. Macht nix, hier ist jetzt alles, was wir gefunden und erwähnenswert fanden.
Die Initialzündung zum steten Presserummel war wohl – abgesehen von der Gründung am 18. Mai 2001 selbst – der Besuch des damaligen Ministerpräsidenten Stoiber mit zwei weiteren Ministern gleich ein paar Wochen später, nämlich am 30. Juli 2001. Darüber berichtete die Newsweek, The Indipendent, die Süddeutsche Zeitung und die Abendzeitung zusammen mit einem Bericht des gleichzeitig errichteten „Regionalen Musterhauses“ in dem Familie Danzer seitdem wohnt.
Seit diesem journalistischen Ritterschlag bekommt Hersbruck bis heute immer wieder Besuch von meist hoch interessierten Medienmenschen aus aller Welt. In Hersbruck selbst wurde leider selten genug getan, um die Cittaslow-Philosophie der Bevölkerung nahezubringen. Deswegen war die internationale Presse-Wahrnehmung von Hersbrucks Besonderheiten besonders hilfreich, nicht zuletzt, um Nörgler umzustimmen, die nur die reduzierte Übersetzung für das Wort „slow“ kannten, nämlich „langsam.“ Die katholische Zeitung Tagespost schrieb hier:
„Dabei verpflichten sich die Cittaslow-Mitglieder, die eigene Identität und die jeweiligen Besonderheiten zu wahren und zu fördern. (…) verbunden mit einem Bekenntnis zur Nachhaltigkeit, zur Ressourcenschonung und zur Emissionsvermeidung, um auch zukünftigen Generationen eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen. (…) Cittaslow-Anhänger verstehen sich als Visionäre, die testen, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte und müsste.“ (Tagespost vom 16.10.2002).
Bayern 2 Radio war in der Cittaslow und bei unserem Kochworkshop am 1. April 2006 zu Gast
Die für Slow Food und danach auch für Cittaslow engagierte Redakteurin Hannelore Fisgus absolviert diese Woche das komplette Slow-City-Programm in zwei Tagen, wobei sie am Donnerstagabend zwei Veranstaltungen gleichzeitig besuchte. Den Vortrag von Rainer Wölfel und den Prototyp unseres Kochworkshops, den die Ernährungsberaterin und Gesundheitspädagogin Elfriede Eusemann und Ulla Wolze bei uns veranstalten.
Natürlich besucht Sie auch unsere Hotelzimmer und die Miniköche im Cafe Bauer, Heimat auf´m Teller bei Hans-Peter Eberhard, den Wochenmarkt und selbstverständlich unseren Bürgermeister Wolfgang Plattmeier.
In ihrem Beitrag hat sie den Nagel auf den Kopf getroffen! Hannelore Fisgus (mit Mikrofon) ist nicht „irgendeine Redakteurin vom BR“, sondern die absolute Fachfrau in Slow Food und – jetzt auch – Slow City Themen. In dem halbstündigen Beitrag über die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Slow Cities in Deutschland und speziell in Hersbruck hat sie ebenso kritisch wie liebevoll den Umgang mit der Auszeichnung und Verpflichtung der Citta Slow beleuchtet. Die Vereinigung der lebenswerten Städte wird dabei nicht nur von der slowfoodlastigen HappiHappi Diskussion befreit, sondern im Ganzen im Sinne der Lebensqualität einer Region dargestellt. Während unseres Kochworkshops hat sie nebenbei auch noch handwerkliche Kompetenz bewiesen (die berühmten Saiblinge hat zum großen Teil sie selbst filetiert), in dem Bericht selbst beweist sie den größten Slow-Horizont, den jemals ein Journalist mit nach Hersbruck brachte. Hören Sie selbst:
Für Menschen, die lieber lesen, haben wir hier das Manuskript veröffentlicht.
„herwig Danzer steht in seiner ganz aus heimischem Holz gebauten Werkhalle, in der ausschließlich Möbel aus einheimischen Hölzern gebaut werden. Sein Betrieb gehört zum Initiativkreis Holz aus der Frankenalb zu dem sich Möbelbauer, Zimmerer, die Forstbetriebsgemeinschaft Nürnberger Land und andere Betriebe aus der Holz- und Energiebranche zusammengeschlossen haben. Im Sinne einer nachhaltigen Umweltpolitik und eines schonenden Umgangs mit den Ressourcen werden die Abfälle, die in der Werkstatt von Herwig Danzer entstehen selbstverständlich weiter verwertet.
Auch dass Hersbruck, gemeinsam mit den Dörfern der Umgebung als „Gesundheitsregion“ anerkannt wurde, wäre ohne den Hintergrund „slowcity“ nicht so leicht möglich gewesen. Mit Hilfe von EU-Geldern wurden Maßnahmen gefördert, wie Beispielsweise die Einrichtung allergikerfreundlicher Gästezimmer. Hersbruck hat ein Thermalbad, mehrere Spezialkliniken, aber – auch das eine Voraussetzung für eine „slowcity“ – noch ein eigenes Krankenhaus für die Bürger. Eine Einrichtung, die man gar nicht hoch genug schätzen kann, meint der Internist Otto Wolze.“
(Anmerkung der Redaktion: In der Zwischenzeit wurde gegen alle vernünftigen Widerstände das Krankenhaus geschlossen, wer gegen diese einzelne, aber auch die gleich in anderen Regionen häufige gewinnorientierte und menschenverachtende Fehlentscheidung protestieren möchte, möge sich hier einlesen und engagieren.
Der Publizist und Philosoph Christian Schüle besucht Hersbruck
Etwas aufgeregt waren wir alle, als sich der Journalist und – seit einigen Jahren – auch als Philosoph etablierte Christian Schüle im Auftrag der Wochenzeitung DIE ZEIT ankündigte. Wie können wir einen so kritischen Geist für die Cittaslow-Idee begeistern? Denn prinzipiell ist eine Berichterstattung darüber nicht zwingend positiv. Ein Journalist könnte ja auch mal Interesse an einem Verriss der Idee haben, dazu müsste er sich nur in die Stadt stellen und Passanten ausfragen, da wären zu dieser Zeit noch nicht so viele positive Stimmen zur Cittaslow zusammengekommen. Aber unsere liebevolle Rundumbetreuung von Bahnsteig Ankunft bis Bahnsteig Abfahrt konnte bisher das schlimmste verhindern und zusätzlich lud ich den ausgesprochen interessierten und sympathischen Christian auch spontan zu einer Lesung aus seinem Buch „Deutschlandvermessung“ nach Unterkrumbach ein.
Aber wer hätte es gedacht, Schüle war tatsächlich „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ zumindest hatte sein Dossier in DIE ZEIT später diesen Titel, den Marcel Proust für seine Romanserie im Jahr 1913 wählte. Das Dossier besteht aus acht Etappen zum Thema Zeit, von denen die vierte in „die langsamste Stadt Deutschlands“ führte und die ist nicht ohne:
Hersbruck in Mittelfranken, dreißig Minuten nordöstlich von Nürnberg, ist die erste »langsame Stadt« in Deutschland. Wobei man unter langsam nicht das Gegenteil von schnell zu verstehen hat; langsam heißt hier lebenswert und ist ein Qualitätsmerkmal. Die 12.500-Einwohner-Stadt war 2001 der erste ausländische Ort, der sich der aus Italien kommenden Vereinigung »Cittaslow« anschloss – was der Selbstvermarktung dient, aber auch der Hersbrucker Ideologie voll entspricht. Langsame Städte wie das evangelisch-bayerische (Anm. d. Red.: fränkische!) Hersbruck setzen den globalkapitalistischen Kreisläufen gezielt regionale Kreisläufe entgegen. Handelsketten sind unerwünscht, alteingesessene Betriebe werden bewusst gefördert, historische Flächen aus dem 15. Jahrhundert beweidet, Streuobstwiesen kultiviert. Die Bauern vermarkten direkt, in den Gaststätten kommt, auch wenn das Lamm ein paar Cent teurer ist, nur die »Heimat auf den Teller«. (…) Wenn ein Begriff alle Hersbrucker Bemühungen auf den Punkt bringt, so ist es jener der Nachhaltigkeit.“
Schüle befragte tatsächlich Passanten und erfuhr dabei, dass von 10 zufällig angesprochenen Personen nur fünf eine Armbanduhr trugen. Das Zeitmanagement in unserer Kleinstadt ist vielleicht nicht das Gegenteil des Hamburger Stress-Models – wo Schüle damals wohnte – aber selbst der Bürgermeister nahm sich für den Gast viel Zeit, nachdem er seine ausgerechnet an diesem Tag anwesenden Regierungsbeamten abgefertigt hatte. Wir zeigten mal wieder alles von Hersbruck, die Gastronomie, die regionalen Wirtschaftskreisläufe, Heimat auf´m Teller, den Initiativkreis Holz aus der Frankenalb und natürlich auch unsere Werkstatt.
„Aber wer eine McDonald’s-Filiale mit dem Hinweis ablehnt, Fast Food gehe vielleicht schneller, sei jedoch verlorene Zeit, da Harmonie, innere Ruhe und seelische Zufriedenheit beim Essen verlustig gingen (was schließlich einen erheblichen Aufwand an kontemplativem Ausgleich verlange), der muss geradezu stolz sein auf Bürger wie den international erfolgreichen Möbelmacher herwig Danzer. Der arbeitet in der immer hektischer auf Just-in-Time-Produktion sich abrichtenden Hausbaubranche gezielt mit dem Faktor Entschleunigung.
Für seine Massivholzküchen kauft Danzer ausschließlich Kiefern und Lärchen von der Forstbetriebsgemeinschaft aus dem heimatlichen Wald vier Kilometer entfernt. Eingekauft wird nur im Winter, wenn der Frost das Holz getrocknet hat. Seine Säger brauchen fürs Sägen mindestens drei Wochen Zeit, seine zinsfressende Lagerhaltung bringt jeden Steuerberater zur Verzweiflung, weil das Holz so lange Platz belegt, bis es eben gebraucht wird. Das Ölen, Trocknen und Wiederölen der Platten mit Naturharz schließlich erfordert viermal so viel Zeit, wie wenn man es wie üblich spritzte. »Unsere Kunden schätzen den hohen Aufwand, zahlen mehr und warten länger, fahren dafür aber keine teuren Autos.« Der Möbelmacher nennt das »Wertverlagerung«. Erst wer Zeit als solche wahrnimmt, erkennt ihren wahren Wert.“
Hier kann man das ganze Dossier nachlesen.
Das Wirtschaftsmagazin Brand Eins und wie Fehler abgeschrieben werden
In seinem Dossier verwechselte Christian Schüle unsere Holzarten für das regionale Musterhaus und die für unsere Möbelfertigung, für die wir ausschließlich Hartholz verwenden und weder Kiefer noch Lärche, aus denen unser Haus entstand. Kurze Zeit nach ihm besuchte Georg Waldherr als Journalist des grandiosen Wirtschaftsmagazins brand eins Hersbruck.
Wir schätzen das Magazin ob seiner kritischen Berichterstattung sehr und hatten auch ein wenig Bammel, ob das gut ausgehen würde. Zumal wir dessen Chefredakteurin Gabriele Fischer auf einer Deutschlandreise nur ein Jahr vorher in ihrer Hamburger Redaktion interviewt haben. Leider konnten wir Georg nur auf der Hersbrucker Gewerbeschau am Plärrer empfangen und es war alles etwas hektisch. Aber im Artikel schrieb auch er über unsere Möbel aus den Kiefern und Lärchen der Region, was leider wieder falsch war, aber ganz viele andere Dinge hat Georg Waldherr in seinem Artikel über drei Cittaslows Deutschlands wirklich treffend formuliert.
Wer über Cittaslow reden will, ist bei Danzer an der richtigen Adresse, denn ohne Danzer und seinen Freund Rainer Wölfel gäbe es Cittaslow in Hersbruck nicht. Von ihnen kam die Anfrage an Plattmeier, der sich erinnert: „Anfangs sagte ich: herwig, was soll der Quatsch? Wir sind eine aufstrebende, dynamische, moderne Stadt.“ Wölfel hatte mit dem Naturschutzzentrum Wengleinpark die Grundlagen für eine erfolgreiche Bewerbung gelegt. Der Agraringenieur kam für den Bund Naturschutz nach Hersbruck und begann 1996, Naturschutz-, Land- und Waldwirtschaft miteinander zu vernetzen, gemeinsame Strategien und Vermarktungskonzepte zu entwickeln. Er propagierte Arten- und Biotopschutz, veranstaltete 220 natur- und heimatkundliche Exkursionen, 50 Seminare und Fachtagungen und erfand zusammen mit Danzer den „Tag der Regionen“. Erst war nur ein regionaler Kochkurs in den Werkstätten der Möbelmacher geplant, plötzlich hatten sie eine „kleine Grüne Woche“ (Wölfel). Inzwischen gibt es deutschlandweit 900 bis 1000 vergleichbare Aktionen.
Danzer und Wölfel könnten sich eigentlich zufrieden zurücklehnen und die Entschleunigung genießen. Doch Danzer kann sowieso nicht still sitzen, und Wölfel („Ich kann überall hingehen, aber ich bin gerne zu Hause“) glaubt, der Kampf um die Stärkung der regionalen Identität sei noch lange nicht zu Ende. „Es ist nicht einfach, sich in der modernen Welt hinzustellen und zu sagen: Das ist meine Herkunft, meine Tradition, meine Umwelt, wenn einem ständig gesagt wird, es geht auch schneller und billiger.“ Danzer sagt: „Eine Idee wie Cittaslow darf nicht als Label vermarktet werden. Es muss ständig mit Inhalt gefüllt werden.“ Demnächst wird es eine Lesung des Journalisten Christian Schüle („Deutschlandvermessung“) unter dem Motto „Zeit zu leben“ in Hersbruck geben.
Die Lesung aus dem Buch „Deutschlandvermessung“ gab es dann tatsächlich im Jahr 2007 und eine weitere im Jahr 2017 mit Schüles neuem Buch „Heimat“. Beide begeisterten unsere Gäste und vielleicht ist ja das Kennenlernen von besonderen Menschen eine der schönsten Erlebnisse in einer Cittaslow.
Hier ist der ganze Artikel nachzulesen
Amerikanische Professorin Dr. Heike Mayer schreibt für chinesisches Magazin
Dr. Heike Mayer besuchte uns einige Male in Hersbruck, einmal sogar mit 20 Studenten von der Virgina Tech Universität, denen Entfernungsangaben von 5 Kilometern vom Standort des Baumes bis zur Verarbeitung zum Möbel ziemlich schräg vorkamen. Leider liegt uns ihr schöner Artikel für ein chinesisches Slow Magazin nicht mehr hochaufgelöst vor, dafür kann man sich hier den englischen Artikel runterladen. Ihre Prognose:
„My visit to Hersbruck convinced me that small towns like Hersbruck can build on long-standing traditions and histories and develop a sustainable future if they combine environmental, economic and social objectives.“
Die TAZ bringt es erschreckend aber ehrlich 2007 auf den Punkt
„Plattmeier ist SPD-Mitglied und seit zwanzig Jahren Bürgermeister von Hersbruck in der Fränkischen Alb – ein persönlicher Triumph in dieser CSU-Hochburg und dem Geburtsort von Günther Beckstein. Die Stadt (…) würde indes nicht weiter auffallen, wäre sie nicht 2001 erste deutsche „Città Slow“ geworden.“
Als Reisejournalistin beschäftigte sich die TAZ-Redakteurin Edith Kresta sehr intensiv mit Slow-Food und Slow Cities und sah auch über den einfach zu überschauenden Tellerrand der regionalen Lebensmittelversorgung. Sie war auf langer Hersbruck-Tour mit Petra Hofmann von der Tourist Info Hersbruck, eine Stelle, die genauso wie die des Regionalmanagers leider nicht mehr existiert, was für Hersbruck allgemein, aber besonders die Cittaslow sehr tragisch war und nach wie vor ist.
„Es geht um nachhaltige Entwicklung: um Umwelt, regionale Wirtschaftskreisläufe, die eigene Geschichte und den Erhalt charakteristischer Architektur. Es geht um „Städte, in denen man neugierig auf die Geschichte ist. Städte, die reich an Theatern, Plätzen, Veranstaltungen, Cafés und Restaurants sind. Städte mit unberührter Landschaft, wo man den Wechsel der Jahreszeiten und ihre unterschiedlichen Früchte erleben kann“, steht im Manifest der Slow Cities.“
Kresta traf bei ihrem Besuch unserer Werkstatt auf Nikolaus Nützel, einen Redakteur vom Bayerischen Rundfunk, der mit seinem Interview über Nachhaltigkeit gerade fertig war, dann aber bei Chips, Frankensecco und anderen Kleinigkeiten einfach noch bei uns blieb. Es war eine spannende Begegnung mit langen Diskussionen, worüber in der TAZ dann so berichtet wurde:
Wie der Gastwirt Peter Bauer, der den Umbau und die Neugestaltung seines Hotels in der Altstadt zumindest teilweise den Möbelmachern vor Ort überließ. Die Handwerker arbeiten ausschließlich mit Holz aus der Region. Gut verarbeitete Möbelstücke, modern im Design, individuell zugeschnitten. „Wir machen keine Möbel für Reiche“, sagt der Mitgründer der Möbelmacher, herwig Danzer, auf den hohen Preis angesprochen. „Wir machen Möbel für Leute, die Prioritäten setzen und Wert auf Qualität legen.“ 2006 erhielten die-moebelmacher.de den unter anderem von der taz ausgelobten Preis der Arbeit, der auch soziales Betriebsmanagement belohnt. Die Möbelmacher sind ein wichtiges Standbein der Regionalentwicklung, denn diese lebt vom Engagement einzelner Akteure. Sie sind mit sämtlichen namhaften Initiativen vor Ort vernetzt. Vom „Initiativkreis Holz aus der Frankenalb“ über die „Altstadt Freunde Hersbruck“ bis zum „Verein Dokumentationsstätte KZ Hersbruck“.
Den Abend verbrachten wir dann im Grünen Baum Kühnhofen bei Familie Eberhard und sauren Zipfeln (mit viel Zwiebeln sauer gargezogene fränkische Bratwürste), wo Edith Kresta noch überraschende Fragen stellte:
„Graf von Faber Castell zählt zu den hundert reichsten Menschen Deutschlands. Macht Nachhaltigkeit reich?“
„Wären die Möbelmacher auch was sie sind, wenn sie von zwei schwulen Schreinern aus Köln gegründet worden wären?“
Ediths erste Frage war noch mit „Naja, reich an Erfahrung, reich an Lebensqualität durch einen Arbeitsplatz und Wohnort in Unterkrumbach, reich an regionalem Holz, an Freude an der Arbeit“ umschiffen, die zweite ließen wir offen, denn sie entstand nur aus ihrer Verwunderung darüber, dass zwei Kompagnons schon seit 19 Jahren 12 Stunden täglich ununterbrochen gemeinsam arbeiten (es wurden noch 9 Jahre mehr) und sogar gemeinsam in den Urlaub fuhren.
Hier ist der Artikel der TAZ und hier die ganze Geschichte mit schwulen Schreiner im Nachhaltigkeitsblog
Brigitta Stöber wirbt in Südbayern für die Cittaslow
Die Süddeutsche Zeitung wählte im gleichen Jahr die Überschrift „Entdeckung der Langsamkeit“, der Münchner Merkur titelte tags darauf „Große Kreisstadt soll mit eigenen Ideen langsamer werden“. Anlass war der Vortrag und der Besuch von Vize-Bürgermeisterin Brigitta Stöber in Germering. Die Stadt liebäugelte mit der Idee Mitglied in der Vereinigung der lebenswerten Städte zu werden, was die bayerische Presse über die erste deutsche Cittaslow in Franken berichten ließ. Es gab sogar noch mehr Artikel über diese Begegnung bei der Brigitta keine Slow-Märchen verbreitet, sondern sehr konkret berichtete, wie intensiv und ausgiebig man sich mit dem Thema beschäftigen muss, um den Kriterienkatalog der Cittaslows erfüllen zu können. Germering ist bis heute nicht dabei.
„Anders als der Titel vermuten lässt, geht es nicht wirklich um Langsamkeit, sondern darum, bewusster zu werden, sich Zeit zu nehmen für Genuss und Freude, darum aus einem zusammengewürfeltem Haufen eine lebens- und liebenswerte Stadt zu machen.“
Deutschlandfunk interviewt Rainers Kühe
Am 29.10.07 lief im Deutschlandfunk ein Beitrag zum Thema „Slow City Hersbruck“. Kerstin Ewald und ihre Kollegin Diana Engel besuchten bei ihrer etwas verkorksten Tour rund um die Cittá Slow, neben dem Restaurant Café Bauer auch das grüne Zentrum in Henfenfeld (am Parkplatz), Hans Peter Eberhard im Erdloch, mit uns Möbelmachen die Kühe von Rainer Scharrer und Ottmar Fischer von der Streuobstinitiative.
„Mit Langsamkeit oder gar Stillstehen hat das „Slow City“-Programm für die Aktiven in der Bewegung wenig zu tun. Ottmar Fischer ist einer von ihnen und mit der Streuobstinitiative im Hersbrucker Landschaftsschutz aktiv: ´Diese Lebensart, die hier propagiert wird, „Cittá Slow“, das ist mein Lebensgefühl. Für mich bedeutet „Slow City“ ja nicht, Engstirnigkeit, oder dass man sich zurückzieht, sondern, dass man tolerant und aufgeschlossen ist. Bewusstes Leben verstehe ich darunter. Und die Schönheiten, das Wertvolle in der eigenen Umgebung und die Hintergründe auch zu kennen und wie man das beeinflussen kann.´“
Peter Bauer interviewten sie nach dem feinen Essen, den Chef des Maschinenrings fanden wir erst am Parkplatz des Grünen Zentrums und durchaus berechtigt war im Interview der Einwand von Heide Frobel vom Bund Naturschutz:
„So sieht Heide Frobel vom Bund Naturschutz Verbesserungsbedarf zur weiteren Öffnung des Konzeptes für die Arbeit von Basisgruppen: ´Die Stadt selbst könnte in meinen Augen einfach mal die Leute zusammenholen und fragen, seid ihr bereit da mitzuziehen, wollt ihr das mitfördern das Konzept. Welchen Beitrag können wir leisten, was können wir zusammen machen, also das wäre nicht verkehrt.´“
Lustigerweise konnte das Interview mit Hans-Peter Eberhard nur in der Erdgrube geführt werden, aber die jungen Damen aus Berlin wunderten sich schon lange über nichts mehr.
Anita Eberhard führt mit ihrem Mann den Gasthof „Grüner Baum“. Das Prinzip Nachhaltigkeit setzen die beiden auch bei der Einrichtung der neuen Zimmer um. Das Holz für die Innenausstattung kaufen sie von Waldbauern aus der Frankenalb. Naturschützer, Handwerker und Waldbauern haben sich im Initiativkreis Holz vernetzt. Das ehrgeizige Projekt will den heimischen Rohstoff besser vermarkten und dabei das Ökosystem Wald schützen. Es darf nicht mehr abgeholzt werden als nachwächst. Die Schreinerei „Die Möbelmacher“ verarbeitet ausschließlich Holz aus der Region. Geschäftsführer herwig Danzer ist sich sicher: Durch die Arbeit des Initiativkreises hat ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung eingesetzt.
herwig Danzer: “ Es ist tatsächlich so, dass wenn man jetzt Menschen, die sich ein Holzhaus bauen oder irgendwas mit Holz machen, wenn die darüber diskutieren, dann fällt die Frage: Wo kommt denn dein Holz her? Das hat einfach vorher niemanden interessiert. “
herwig Danzer ist einer der Slow-City-Aktivisten im Ort. Schon bei der Bewerbung vor sechs Jahren hat er mitgearbeitet. „Slow“ bedeutet für ihn Lebensqualität: Das Holz im Winter zu schlagen, weil es dann trockener und nach dem Lagern hochwertiger ist. Einen Tisch in mehreren Schichten sorgfältig zu ölen, statt giftigen Lack zu benutzen. An seinem Hemdkragen trägt er eine Fliege aus Holz. Die ist nicht aus regionalem Holz. Aber sie wirkt wie ein Symbol für den Holzliebhaber und den Geschäftsführer eines erfolgreichen Unternehmens.
herwig Danzer: “ Es ist nicht so, dass jetzt jemand zu uns kommt und bei uns etwas kaufen will, weil wir Anteil an der Slow City haben. Aber: Natürlich geht es ja um Image bei einem Betrieb, und ich hoffe schon, dass bei Kaufentscheidungen, die ein bisschen auf der Kippe stehen, dann halt diese sogenannten soft facts, einfach die Argumente, wo man sagt, ja das ist ´ne Firma, die sich auch für die Region einsetzt, dass die dann halt irgendwann mal eine Rolle spielen. „
Hier ist der Beitrag im Blog nachzulesen und hier kann man ihn auch anhören:
Lifestylemagazin in Japan
2012 waren zwei junge japanische Journalistinnen nebst Fotografen für einige Tage in Hersbruck zu Gast. Nana Takeda ist die Chefredakteurin der Zeitschrift Vivaconagua, die in Berlin lebende freie Journalistin Hideko Kiwachi übersetzte und der Fotograf Jasuma Miura machte die Fotos – wer hätte es gedacht. Wegen der Cittaslow waren sie nach Hersbruck gekommen und wünschten sich neben allen Infos über Lebensmittel – die sie zum Beispiel im Biosupermarkt fanden – auch einen Beitrag aus dem Non-Foodbereich, wobei man dann sehr schnell beim Holz aus der Region anlangt. Jede Betriebsführung landet nach der Werkstatt und der Ausstellung in irgendeiner unserer Massivholzküchen bei Chips vom Tepan Yaki und Frankensecco, diesmal im regionalen Musterhaus. Die Gespräche handelten natürlich von der Entstehung der Cittaslow über das Phänomen, dass 70 Prozent der Japaner aus genetischen Gründen Alkohol nicht verarbeiten können, bis hin zu Geschichten mit befreundeten Japanern zu Studentenzeiten. Leider kam das versprochene Belegexemplar des Magazins bei uns nie an, aber wir hätten es ja eh nicht lesen können. Der Bericht im Blog über den Japanbesuch.
Die Fernsehsendung „Unkraut“ berichtet aus der Cittaslow Herbruck über Bio-Produkte
Im Jahr 2014 bekam Hersbruck mal wieder Besuch von einem fünfköpfigen Fernsehteam des Bayerischen Rundfunks mit der bekannten Moderatorin Janina Nottensteiner. Sie war im Biosupermarkt, bei Hans Klischewski am Biohof in Loch und kehrte auch nach Unterkrumbach zurück, wo sie vorher schon eine ganze Sendung für „La Vita“ (Hier zu sehen) drehte. Janina wählte Hersbruck für ihre Sendung „Unkraut“ zum Thema „Isst bio besser?“ weil wir als Cittaslow den passenden Hintergrund dafür lieferten. Von dem zeitlichen Aufwand solcher Produktionen ist bei der Sendung dann immer wenig zu sehen, aber wenigstens haben wir ein paar schöne Erinnerungen im Nachhaltigkeitsblog.
Hans Holzhaider in der Süddeutschen über Manuela Sillius
Ein sehr langes Telefongespräch führte ich Ende 2015 mit einem Redakteur der SZ, der sich irgendwie am meisten für meine Freundin mit italienischer Mutter, Manuela Sillius, interessierte. In der Tat wäre Hersbruck ohne ihre Italienischkenntnisse nebst Übersetzungsarbeit einerseits aber vor allem ohne ihre Redegewandtheit, Hartnäckigkeit und vielleicht auch Attraktivität niemals Cittaslow geworden. Denn die italienischen Bürgermeister ließen sich schon sehr bitten, um sich auf einen Termin festzulegen. Aber Manuela bat nicht nur darum, sie orderte die Bürgermeister und das Cittaslow-Commitee unmissverständlich nach Hersbruck, was dann am 18. Mai 2001 mit der Ernennung zur ersten Cittaslow außerhalb Italiens führte.
„Das Slow City-Konzept entspricht genau Danzers Vorstellung von einer menschen- und umweltfreundlichen Produktion. Es war ein Glücksfall, dass Danzers Schulfreundin aus der Theatergruppe des Gymnasiums, Manuela Sillius, Halb-Italienerin, entsprechend sprachkundig und mit einem lebhaften Temperament gesegnet, sich begeistert in die Aufgabe stürzte, das Städtchen Hersbruck bei den italienischen Bürgermeistern ins beste Licht zu rücken. “
Er schrieb aber auch, was ich ihm eigentlich heimlich zwischen zwei Telefonhörern anvertraut habe:
„Es lässt sich nicht leugnen, dass die Slow-City-Idee in Hersbruck in den ersten zehn Jahren nach Verleihung der Urkunde ein bisschen vor sich hindümpelte. Aber seit Brigitta Stöber, die ehemalig zweite Bürgermeisterin , vor zweieinhalb Jahren einen „Arbeitskreis Cittaslow“ gegründet hat, ist wieder etwas Bewegung in die Sache gekommen. (…) Immerhin hat sie jetzt schon zum zweiten Mal eine Reisegruppe aus Südkorea durch Hersbruck geführt. Und das ist doch auf jeden Fall ein Erfolg.“
Cittaslow und die Zukunft?
Wie bei der BIO-Bewegung besteht auch bei der Cittaslow die Gefahr, dass der allgemeine Hype um Entschleunigung, Nachhaltigkeit und verantwortungsvolles Handeln die ursprünglichen Protagonisten vergisst, auch wenn sie schon vor 20 Jahren nach heutigen neuen Maßstäben handelten. Die Ökos aus den 80-er Jahren wurden seinerzeit von EU- und weltweiten Bio-Siegeln nicht nur preislich unter Druck gesetzt (im Fernsehbeitrag von Hans Klischweski erklärt) und natürlich stehen in der Zwischenzeit die Prinzipien der Cittaslow-Philosophie auf den Agendas vieler Städte weltweit – auch wenn sie es damit oft nicht sehr ernst meinen. Ganz aktuell soll auf EU-Ebene sogar Kernkraftwerken „Nachhaltigkeit“ bescheinigt werden, wir sollten uns also nicht wundern und jammern, sondern die Cittaslow weiterentwickeln und mit aktualisiertem Inhalt füllen.
Die Mitgliedschaft in der Lebensvereinigung der lebenswerten Städte wurde oft als Auszeichnung missverstanden, dabei ist sie im Gegenteil eine immerwährende ernsthafte Aufgabe. Wir müssen in unseren Städten Lebensqualität schaffen und zwar nicht nur, weil das schön wäre, sondern weil diese Orte sonst ernsthaft leiden werden.
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