von Samuel Wittmann
Ich kann mich noch gut an mein erstes Praktikum beim Schreiner erinnern. Das war damals für eine Woche in der neunten Klasse. Zu dieser Zeit hätte ich mir nicht mal zugetraut einen Nagel in die Wand zu schlagen um ein Bild aufzuhängen. Ich weiß auch noch genau, dass ich danach sagte, Schreinern sei nichts für mich.
Die Begeisterung fürs Handwerk flammte dann jedoch auf, als ich während der 10. Klasse im Rahmen von „Klassenzimmer unter Segeln“ für sechseinhalb Monate auf dem Traditionssegelschiff „Thor Heyerdahl“ lebte. Gemeinsam mit 33 weiteren Schülerinnen und Schülern und 16 Erwachsenen segelte ich von Kiel über England, Teneriffa, Grenada, Panama, Kuba, Bermuda und die Azoren zurück nach Kiel. Mit an Bord war ein Zimmermann auf der Walz, der sich um alle Takelarbeiten kümmerte. Sowohl das Anpacken im Segelbetrieb, als auch das Arbeiten mit Holz, Segeltuch und Tauwerk beeindruckten mich damals.
Danach folgte allerdings erst einmal die Oberstufe am musischen Labenwolf-Gymnasium in Nürnberg. Ich habe diese Zeit sehr genossen und blicke oft wehmütig zurück. Doch trotzdem hatte ich nach dem Abitur erstmal genug von der Theorie.
Ich wollte endlich wieder etwas erleben.
Also flog ich mit einem guten Freund zusammen nach Sydney, wo wir uns ein Auto kauften und Australien erkundeten. Nach insgesamt fünf Monaten Roadtrip und drei Monaten Farmarbeit flog ich nicht direkt zurück nach Deutschland, sondern auf die Bahamas, von wo aus ich zusammen mit meinem besten Freund und einem Bekannten, dessen Katamaran über den Atlantik segelte.
Zurück in Deutschland meldete ich mich an der Berufsschule in Fürth für das Berufsgrundschuljahr der Schreiner an.
Auf der Suche nach dem richtigen Ausbildungsbetrieb war die Enttäuschung leider anfangs sehr groß. Ich musste feststellen, dass die meisten Betriebe kaum mit Vollholz arbeiten. Dabei war es genau das, was ich mir unter Schreiner vorgestellt hatte.
Damals wie heute verstehe ich das Schreinerhandwerk nicht als schlichtes Möbel bauen, sondern viel mehr als edle Kunst. Ich wollte lernen, Holz in seiner Beschaffenheit zu verstehen und daraus ehrliche Möbel zu fertigen.
Ich weiß noch genau, wie ich in meiner zünftigen Schreinerkluft zu einem Betrieb kam, um mich für ein Praktikum zu bewerben. Als mich der Meister sah meinte er nur: „Ich denke das was du lernen möchtest kannst du bei uns leider nicht lernen!“ Und das stimmte. In einem Betrieb, der durch hohe Stückzahlen und Pressspan geprägt ist, wäre ich wohl nicht glücklich geworden.
In diesem Gespräch hörte ich dann zum ersten Mal von den Möbelmachern. Zweifelsohne boten sie durch ihre Philosophie der Nachhaltigkeit genau das, was ich suchte. Dass sie ihr Holz selber aufsägen und lagern, anstatt es anzukaufen; dass sie auf kunststoffbeschichtete Pressspanplatten verzichten und letztendlich das Vollholz als einzig wahres Material des Schreiners verstehen, zeichnete sie für mich als ehrliche Schreiner aus. Als sich diese Hoffnungen nach einem Praktikum bestätigten war für mich klar, entweder die Ausbildung bei den Möbelmachern weiter zu führen, oder meinen Weg zum Schreiner zu beenden.
Glücklicher Weise bekam ich damals eine Zusage.
Meine Zeit bei den Möbelmachern war eine gute Zeit. Sie empfingen mich herzlich, nahmen sich stets die Zeit um mir Dinge zu erklären und schenkten mir ihr Vertrauen. Ich durfte Tag für Tag dazu lernen und bekam immer mehr Verantwortung zugetraut. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich im neuen Jahr meinen ersten eigenen Kundenauftrag bekam. Es handelte sich um ein Bett aus Ahorn.
Ich wuchs an meinen Aufgaben und nach etwa einem Jahr bei den Möbelmachern wurde mir dann die neue Ausstellungsküche anvertraut, was eine große Herausforderung für mich war.
In den letzten 2 Jahren durfte ich sehr viel lernen.
Ich lernte anzupacken und zu arbeiten.
Ich lernte praktisch zu denken und Probleme zu lösen, eine Fähigkeit die am Gymnasium nicht unbedingt gefördert wird.
Ich lernte Verantwortung zu übernehmen und dafür gerade zu stehen, wenn ich etwas verbockt habe.
Ich lernte mit verschiedensten Maschinen zu arbeiten.
Ich lernte Holz in seiner Beschaffenheit zu verstehen und daraus ehrliche Möbel zu fertigen.
Am Ende der Lehre stand das Gesellenstück, die wohl größte Herausforderung. Mir war es wichtig, dass mein Gesellenstück vielseitig einsetzbar ist, weshalb ich mich entschloss ein Aufbewahrungsmöbel, nämlich ein Vertiko, zu bauen. Die Maße habe ich so gewählt, dass in den Schubkästen Unterlagen im DIN A4 Format und in den Fächern sowohl Ordner, als auch Geschirr oder Wäsche Platz haben.
Auf Grund der edlen, warmen und lebendigen Optik wählte ich Kirschholz als Hauptmaterial aus. Um einen dezenten Kontrast zu erzeugen setzte ich Akzente mit hellem, ruhigem Spitzahorn.
Mir war es außerdem wichtig klassische Holzverbindungen wie etwa die Schlitz und Zapfenverbindung an den Türfriesen, die Gratnuten und
-federn welche gleichzeitig als Korpuseckverbindung und Flächensicherung dienen, oder aber die von Hand gezinkten innenliegenden Schubkästen, einzubringen.
Auch der Goldene Schnitt als ästhetisches Seitenverhältnis durfte nicht fehlen und findet sich in den Rahmentürfüllungen wieder.
Um die Harmonie nicht zu stören setzte ich auf unauffällige Griffmulden, dezente Messingscharniere und ein filigranes Gestell.
Nach einem halben Jahr Planung und 77 Stunden Fertigung war mein Gesellenstück vollendet. Ich war mehr als zufrieden mit meiner Arbeit und erreichte 98,2 von 100 Punkten in der Bewertung. Auch die theoretische und die praktische Gesellenprüfung im Anschluss liefen sehr gut, sodass ich am 27. Juli 2021 als Innungsbester freigesprochen wurde.
Und nun?
Hier endet meine Zeit bei den Möbelmachern.
Ich habe mich dazu entschlossen Bauingenieurwesen am KIT in Karlsruhe zu studieren.
Noch während meiner Ausbildung habe ich ein WG-Zimmer gefunden, in das ich Anfang Oktober eingezogen bin. Als mir mein Vormieter damals anbot seine Möbel kostenlos zu übernehmen habe ich erst einmal zugesagt. Als ich dann wieder zuhause war wusste ich jedoch, dass ich mich jeden Morgen ärgern würde, wenn ich in einem quietschenden Bett aufwache. Wenn dann mein Blick durch das Zimmer schweift und an den ausgefransten, schiefen IKEA-Pressspanmöbeln mit weißer Melaminharzbeschichtung hängen bleibt, dann würde ich jedes Mal hinterfragen, was ich die letzten Jahre gelernt habe. Deshalb blieb ich nach meiner Ausbildung noch für zwei Wochen in der Werkstatt und baute mir einen Kleiderschrank, einen höhenverstellbaren Schreibtisch und ein Bett.
Nun freue ich mich jeden Morgen, wenn ich mein Zimmer erblicke, das – mit Ausnahme des Regals – nur mit selbstgebauten Möbeln bestückt ist. Das Bett ist übrigens das gleiche, wie das aus meinem ersten eigenen Kundenauftrag. Also mein erstes und letztes Möbelstück bei den Möbelmachern.
Beim Schreiben dieser letzten Zeilen kommen mir die Tränen und ich denke dankbar an die wundervolle Zeit und meine tollen Kollegen zurück.
Danke
Euer Samuel
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Auch Andrea Pitsch von der Hersbrucker Zeitung hat über Samuels Lehre einen Beitrag geschrieben.
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