Im Jahr 2007 – als wir die Jahreskonferenz des deutschen Nachhaltigkeitsrates noch regelmäßig besuchten – empfahl mir Volkmar Lübbe das Buch von Holm Friebe, Kathrin Passig und Sascha Lobo „Wir nennen es Arbeit“, das mich damals so beeindruckte, dass ich es in diesem Blogartikel hier vorstellte. Seit dieser Zeit habe ich Saschas Blog Riesenmaschine (gegründet 2005) und seinen Werdegang beobachtet und ihn immer wieder als Orientierungshilfe herangezogen, wenn es um digitale Fragen ging – nicht zuletzt seine Einschätzung zur im Prinzip gut gedachten, in der Ausführung aber stümperhaften Durchführung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).
Als kürzlich die Einladung der rotarischen Jugendorganisation Rotaract zum 50 Geburtstag der Wirtschaftsjunioren Amberg-Sulzbach reinflatterte, fuhr ich pünktlich nach Ursensollen und wurde nicht enttäuscht. Sein einstündiger Vortrag war ausgesprochen unterhaltsam, trotzdem ernst und informativ (hier ein wunderbares Video nebst ausführlichem Bericht von dem Vortrag von Onetz).
Lobo ist jetzt schon 44 Jahre alt, also seit vier Jahren aus dem Alter der Wirtschaftsjunioren raus, trotzdem bin ich (Jg 1962) mit dem digitalen „Du“, das aus den Anfangszeiten der Netzgemeinde stammt, wohl besser vertraut, als die jungen Gäste. (Wir hatten die erste Homepage 1998, Newsletter seit 2002 und das Nachhaltigkeitsblog seit 2005 gleichzeitig mit Riesenmaschine, Twitter seit 2008).
Was ist Datenschutz und welche Daten geben Menschen preis?
Eindrücke aus dem Vortrag gepickt:
Forschungsministerin Karliczek sagte “ „5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig,“ dabei sind es gerade die Landwirtschaft und der ländliche Raum der gestärkt werden muss. Wie soll in Deutschland eine vernünftige digitale Infrastruktur entstehen, wenn die Regierung nicht nur das Glasfaserkabel verschläft (Entwicklungsstand gleich auf mit Angola) , sondern auch die Vorteile der deutschen dezentralen Struktur nicht fördert, sondern sogar behindert?
Für Kinder zum Beispiel bedeutet Datensicherheit erstaunlicherweise, dass die Eltern ihre Kommunikation mit Freunden nicht einsehen können, und so wurde die Chat-Nebenfunktion eines Spieleprogramms die beliebteste Kommunikationsart, WhatsApp wird nur als als Alibi genutzt, auf dass die Eltern nicht misstrauisch werden.
Wer nicht glauben wollte, dass die Menschen alle Daten im Netz preisgeben, dem erklärte Lobo das Beispiel einer Dating App für Menschen mit Geschlechtskrankheiten. Intimere Daten gibt es wohl kaum, aber sie sind im Netz öffentlich zugänglich. Menschen geben also alle Daten von sich im Netz preis, wenn sie sich Vorteile – zum Beispiel Liebe – davon versprechen.
Während ich das noch verstanden habe, habe ich die Idee der Anti-Baby-Pille als App nicht ganz begriffen. Klar, sie misst die Körpertemperatur und berechnet aus Millionen von Vergleichsdaten den Eisprung sehr genau, aber wie dieses Telefon jedes einzelne Sperma davon überzeugen soll, die Eizelle jetzt doch bitte nicht zu befruchten, bleibt mir ein Rätsel.
Fazit und Aufforderung an die Wirtschaftsjunioren: „Wir müssen die Digitalisierung offensiv und unternehmerisch mitgestalten.“
Irokesenschnitt trifft Holzfliege
Danach genossen wir ein wunderbares Buffet, das jedem Verdacht auf sinnlosen Luxus erhaben war, und tranken – wie von Sascha angekündigt – das köstliche Bier der Brauerei Kummert aus Amberg an der Bierecke. Sein Irokesenschnitt ist etwas dezenter rot als früher und als Holzfliegenträger fragte ich mich, ob er wohl auch das Buch von Elmer G. Leterman „Verkaufen durch Showmanship“ gelesen hat (Erstauflage 1967): „Wenn man in Erinnerung bleiben will, muss man eine ungewöhnliche, aber nicht unangenehme Gewohnheit entwickeln , die von der Norm abweicht. (S. 84)“.
Geburtstagsfeier und warum wir digital nach Kunden suchen, aber analog beraten
Im persönlichen Gespräch zum Thema Digitales im Handwerk fiel ihm ein von Kollegen gerade programmierter Möbel-Konfigurator ein, der leider genau das Gegenteil von dem ist, was wir mit unserer Einzelanfertigung für Kunden erreichen wollen. Das fängt schon damit an, dass die Dame des Hauses meist unterschiedliche Wünsche hat als der Herr desselben und unsere wichtigste Aufgabe im gemeinsamen Erarbeiten von beidseitig geschätzten Lösungen liegt.
Aber die ersten Wünsche entwickeln sich im Laufe des gemeinsamen Planens zum Beispiel in der Küche oft viel weiter, in viel funktionalere, meist auch schönere Lösungen. Wie könnte und warum sollte dieser wichtige Prozess der gemeinsamen Möbelgestaltung digitalisiert werden? „Künstliche Intelligenz wird über- und unterschätzt“ sagte er im Vortrag, ich kann mir im Moment für einen ehrlich beratenden Handwerksbetrieb noch keine digitale Lösung aus Datenströmen vorstellen, aber vielleicht fehlt mir nur die zündende Idee? Und dass man erste Zeichnungen auch am Computer erstellen kann, ist uns schon bewusst, unsere Kunden bevorzugen laut Umfrage aber den Bleistift.
Zugeben müssen wir allerdings, dass das gemeinsame Gestalten nicht gerade bequem ist, kein „Conveniance“ wie er es nennt. Unsere Kunden sind auch weiterhin Menschen mit seltener Begeisterungsfähigkeit für individuelle und ökologische Wohnlösungen und ungewöhnlichen Prioritäten auf Qualität und Regionalität. Gerade im Moment lernen wir aber gottseidank, dass es einige davon auch in der nächsten Generation gibt, sogar welche, die nach Nachhaltigkeit suchen.
Die im Vortrag auch mehrfach geforderte Vernetzung haben wir branchenintern über die Schreiner-Innung und branchenübergreifend über den Initiativkreis Holz aus der Frankenalb, hier müsste man vor allem in den Kommunikationstechniken digital nachrüsten. Auch wenn die Möbelmacher mit ihrem wichtigsten Suchwort „Massivholzküche“ aktuell auf Platz eins bei Google stehen (Messung durch neutrale Crawler), was für unsere Auftragslage offengestanden sehr wichtig ist, gibt es hier noch viel zu tun.
Klar wird ein Promi, der übrigens auch schon deutsche Ministerien digital und persönlich berät, schnell von attraktiven Mädels zum Selfie und Gruppenfoto abgezogen, denn es muss ja auch gefeiert werden, 50 Jahre Wirtschaftsjunioren sind ein guter Grund dafür.
Was gelernt?
Nun ja, sicher sensibilisiert und geöffnet für viele digitale Entwicklungen und vor allem Fehlentwicklungen, gleichzeitig aber nach wie vor der Meinung, dass die Einzelanfertigung von Küchen und Möbeln schon vor 30 Jahren ein Nischenprodukt war und es hoffentlich auch bleiben kann. Unser Holz und unsere Möbel kann man anfassen, spüren und riechen, mit uns und unseren Mitarbeitern kann man persönlich sprechen – sogar am Festnetz – vielleicht bleiben die Vorteile des Handwerks erhalten oder werden neu zu schätzen gelernt, wenn es nur noch Programmierer und Berater gibt?
Vielleicht wächst ja auch die Erkenntnis, dass man für Massivholzmöbel erstmal Bäume fällen muss und die daraus handwerklich hergestellten Küchen und Möbel nicht per Email zum Kunden schicken kann, sondern für jeden einzelnen Arbeitsschritt Menschen braucht, die neben der Tastatur und Maus auch mit richtigen Werkzeugen umgehen können? Aber gut, wir bleiben dran an der Digitalisierung und besuchen den Vortrag von Michael Kipfstuhl im Hirtenmusem am Mittwoch über das Smart Home, in dem auch unsere Kochgeräte von Miele eine entscheidende Rolle spielen werden. Vielleicht hat er ja DIE Idee zur Totaldigitalisierung der Möbelmacher?
Ganz herzlichen Dank an die Wirtschaftsjunioren Amberg Sulzbach.
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In diesem Video nebst ausführlichem Bericht von dem Vortrag von Onetz bekommt man einen wunderbaren Einblick in Vortrag und Veranstaltung.
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