von Gerda Münzenberg
Lieber Christian Schüle,
ich fand es großartig, dass Sie aus der fernen Großstadt Hamburg zu uns in die fränkische Provinz gekommen sind. Sie haben mit der Lesung aus Ihren fulminanten „ Bekenntnissen eines Mittdreißigers“ ein wenig vom Geist der großen weiten Welt in unsere ländliche Region getragen und damit eine ganze Reihe von Diskussionen in kleineren Kreisen (wenn auch nicht im Salon!) angeregt, die – generationenübergreifend – zum Teil recht kontrovers verlaufen sind. Vielleicht interessiert Sie das Echo, das Sie bei uns hervorgerufen haben.
Denn zunächst mag es für Sie ein wenig enttäuschend gewesen sein, dass unmittelbar nach der Lesung nur so wenige qualifizierte Fragen zu Ihrem Text gestellt wurden. Aber vielleicht sind Sie daran schon gewöhnt. Obwohl ich Ihr Buch schon vorab gelesen hatte, war auch ich – wie fast alle anderen Zuhörer – überfordert, auf einzelne, zum Teil durchaus provozierende Aussagen in Ihrem Text unmittelbar einzugehen. Zuviel stürmt da in relativ kurzer Zeit auf den Hörer ein und um dazu Stellung zu nehmen und Fragen zu formulieren braucht ein im Diskutieren weniger Geübter als Roland Zimmermann einfach viel mehr Zeit. Außerdem sind wir ja eine Slow-City und dadurch gewohnt, eher mit Bedacht zu reagieren. Ich habe inzwischen Ihr Buch noch einmal gelesen. Das ist bei dem anspruchsvollen Text durchaus notwendig. Dadurch – und auch durch die persönliche Begegnung mit Ihnen während und nach der Lesung – habe ich manche Dinge neu sehen und verstehen gelernt.
Sie haben für Ihr ZEIT-Dossier „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ja schon einmal Fühlung mit unserer Region aufgenommen und wissen dadurch selbst, dass im ländlichen Bereich ein völlig anderer Umgang mit der Zeit vorherrscht und dass man zu anderen Lebensfluchten greift, als in der Großstadt. Für uns sind Ihre Schilderungen eher wie Botschaften aus einer fernen Welt. Zwar hat man im Medienzeitalter auch im hintersten Winkel unserer Republik die Möglichkeit, teilzunehmen am allgemeinen großen Palaver – wenn man daran überhaupt interessiert ist. Laufen solche Typen, wie Sie sie in Ihrem Kapitel „Die Gattung der ICHlinge“ schildern, in Hamburg wirklich massenhaft herum? Die Mittdreißiger hierzulande dürften sich darin eher nicht repräsentiert zu sehen. Hier ist es noch durchaus üblich, sich aktiv in einem Sportverein zu engagieren, zu wöchentlichen Probeabenden von Musikgruppen zu gehen, seine Freizeit im Umweltschutz, in der Freiwilligen Feuerwehr, in der Nachbarschaftshilfe, beim Tierschutz, beim Roten Kreuz oder mit der Betreuung benachteiligter Kinder zu verbringen. Hier räumt ein Handwerksbetrieb noch seine Werkstatt aus, um einer Lesung eines ZEIT-Autors auf hohem Niveau Raum zu geben. Daneben gibt es allerdings durchaus eine gewisse Schicht, die weitgehend den von Ihnen in dem Kapitel „Die Rückkehr der Spießer“ aufs Korn genommenen Typen entspricht Der Rest verharrt in reinem Stumpfsinn.
Das dürfte in Hamburg oder Berlin nicht anders sein, nur wird der Stumpfsinn in Großstädten etwas andere Ausprägungen zeigen. Die Zukunft unseres Landes wird jedoch nicht nur von den ICHlingen, den „Yuppies“ und „Dinks“ und den neuen Spießern gestaltet werden , sondern weitgehend auch von dem Verhalten der sogenannten Unterschicht. Deshalb wäre es gut, wenn Sie in einem Nachfolge-Buch „Deutschlandvermessung “ auch darauf eingehen würden. Dass Sie zuhören und sich auch in Verhältnisse , die Ihnen nicht so vertraut sind, einfühlen und hineindenken können und dass Sie vor allem in der Lage sind, die daraus gewonnen Erkenntnisse auch in adäquate Worte zu fassen, das haben Sie mit Ihren „Recherchen“ schon hinreichend bewiesen, auch wenn die Lebensfluchten, die auf dem Land üblich sind, Ihnen eher fremd sein werden.
Im Übrigen: Das Kapitel „Das deutsche Testament“ ist das Subtilste, Stimmigste und Wahrhaftigste, das ich zu diesem schwierigen Thema je gelesen habe.
Und nun freue ich mich auf Ihr Türkeibuch, das ich mir morgen kaufen werde.
Ich hoffe, Sie kommen wieder einmal zu einer Lesung nach Hersbruck.
Achja: Wie Sie vielleicht schon erraten haben, ich bin die Omi , die mit Schwiegertochter und Enkelin bei Ihrer Lesung war, die Enkelin konnte jedoch nicht mehr mitdiskutieren, denn sie musste jobben gehen. Erinnern Sie sich? Aber das generationenübergreifende Gespräch haben wir am nächsten Tag nachgeholt.
Mit herzlichen Grüßen aus der Provinz,
Gerda Münzenberg
Hier ist Christian Schüles Antwort
Zum Artikel Christian Schüle las aus der "Deutschlandvermessung"
Zum Artikel "Deutschlandvermessung" in Unterkrumbach
Zu der Sonderseite auf unserer Homepage
Christian Schüle ist grade unterwegs, seine Antwort kommt am Freitag.
herwig
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