von | Sep 23, 2024

Interview mit Dr. Alexandra Hildebrandt: Sleep Economy – Wie die Dinge heute „liegen“

Allgemein, Pro Natura

Interview mit dem Möbelmacher herwig Danzer

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Schlafen und Matratzen gehören derzeit zu den größten Lifestyle-Themen. In den letzten Jahren entstand ein großer Markt rund ums Schlafen. Zu diesem Trend wurde herwig Danzer von „Die Möbelmacher“ befragt. Gearbeitet wird hier bis heute nur mit Massivholz aus der Region, mit maximal 100 km Transportweg. Gefertigt werden in Unterkrumbach Küchen und Möbel, aber auch Schreibtische, Tische und Schlafzimmer.

Herr Danzer, welche Rolle spielt für Sie als Unternehmer das Thema Schlafkomfort?

Wie in allen Räumen gehen wir auch das Thema Schlafzimmer ganzheitlich an: Zunächst geht es nur um den Grundriss, die Position des Bettes, meist auch der Schränke – alles soll funktional, wohngesund und ergonomisch perfektioniert sein. Die Optik ist dabei übrigens ein eher unproblematischer Faktor, weil unsere Einzelanfertigung alle Wünsche und Ideen problemlos verwirklichen kann. Der Schlafkomfort selbst hängt aber, neben der vernünftigen und baubiologisch orientierten Einrichtung und falls nötig auch einem Netzfreischalter, am meisten am Bettsystem – wenn wir den Partner oder die Partnerin mal als gegeben betrachten. Meine Frau Ute ist als Sportlehrerin und Rückenschulleitern seit 1997 die Fachfrau für Schlafkomfort, und ihr ist er sogar noch wichtiger als die Küche. Aber am besten soll ja beides Freude machen!

Wie geht sie vor?

Ihr Beratungsweg zum perfekten Komfort führt über Fühlen und Fragenstellen. Die unendlichen Möglichkeiten, die sie dank der ergonomischen Einstellungsvarianten zu Verfügung hat, bemerkt der Kunde erst ganz zum Schluss, wenn er das Bett bereits mehr erspürt als verstanden hat. Bei diesen Gesprächen geht es nicht nur um „die Bandscheibe“, für deren Erläuterung oft unser Skelett Willy im Matratzenstudio zur Hilfe eilt. Es geht auch um die Vor- und Nachteile der Materialien, Waschbarkeit und Hygiene sowie um die ganz persönlichen Vorlieben oder Zipperlein. Erst durch das Einbeziehen aller Faktoren entsteht echter Schlafkomfort.

Bieten Sie auch ergonomische Schlafsysteme an?

Ja, seit 1989, als Max Atzinger, der Gründer von ProNatura, sich auf seine erste Deutschlandtour machte. Die Idee zum Bettsystem, welches das Hauptaugenmerk auf das Federelement aus Latexstreifen und Holzlamellen legt und erst in der Folge die eher dünne Matratze an persönliche Vorlieben anpasst, hatte Balthasar Hüsler. Atzinger hat das aber mit neuen Ideen ergonomisch so weiterentwickelt, dass wir seit dieser Zeit sowohl für das Konzept aus reinen Naturmaterialien als auch der perfekten Ergonomie brennen. Zuerst haben sich beide Möbelmacherfamilien die Systeme zum Testen gekauft, aber nach zwei Nächten waren wir alle überzeugt.

Wie sah Ihre Zusammenarbeit aus?

Wir haben ProNatura auf der Kölner Messe mit Dienst am Messestand unterstützt, haben nachts in Restaurants neue Verbesserungsideen auf Servietten gezeichnet und an Schulungen teilgenommen, später dort selbst referiert und einige Male die Schulungen auch in unserem Haus in Unterkrumbach abgehalten. Seit dieser Zeit sind wir schon mit den dritten Besitzern von ProNatura, der Familie Kapsamer von Joka, befreundet. Der 100jährige Familienbetrieb Joka ist Marktführer in Österreich für Matratzen und Polstermöbel, deren Programm uns auch den Verkauf und den Einblick zu konventionellen Matratzen aus Kaltschaum (manchmal bei der Hoteleinrichtung hilfreich) oder den aktuell so angesagten Boxspingsystemen bietet. Es ist gut, alles zu kennen und im Zweifelsfall auch anbieten zu können, aber zu 99 Prozent schlafen unsere Kunden auf den Naturbettsystemen von ProNatura (im Programm seit 1990). Na gut, vielleicht haben ein paar andere Marktbegleiter auch Anteil daran, aber in Nachhaltigkeitskriterien gemessen, ist es ein reines Naturprodukt, das wir gemeinsam mit dem Hersteller seit 34 Jahren weiterentwickeln, schon etwas Besonderes – gerade im Kontrast zu Matratzen, deren Schaum angeblich für den Weltraum entwickelt wurde. Die sind sicher toll, wenn man dort schlafen will oder kann, aber da unsere Kunden rein statistisch meist der Schwerkraft Folge leisten müssen, würden wir so etwas niemals verkaufen wollen.

Ist die Nachfrage nach nachhaltigen Betten(systemen) gestiegen?

Ursprünglich war es eher ein Service der Kompletteinrichtung, dass wir Schlafzimmerkunden auch das perfekte Bettsystem mit anbieten konnten. Inzwischen kommt es immer häufiger vor, dass die Kunden nur wegen des Bettes und dessen Innenleben kommen. Das ist aber in unserem Fall eher regional bedingt und beruht neben unserem Marketing vor allem auf Weiterempfehlungen von Menschen, die darin einfach gut schlafen. Aber auch weit angereiste Möbelkunden kann meine Frau Ute meist von den Vorteilen ihres Bettsystems überzeugen. Und wer sich ein Schlafzimmer aus Massivholz – egal, ob mit Holz, Glas oder Metallfronten, egal ob hypermodern oder landhäuslich – fertigen lässt, will meist auch im Bett keine Chemie sehen und vor allem einatmen oder sogar riechen.

Welche Rolle spielt Zirbenholz?

Unsere Betten sind aus dem massiven Hartholz der Frankenalb. Auf Wunsch bauen wir auch Betten aus Zirbenholz, weisen aber gleichzeitig darauf hin, dass die Studie, die den „Zirbenhype“ auslöste, keinen Beweis für die gesundheitliche Alleinstellung der Zirbe darstellt. Denn gemessen wurde nur der Unterschied Zirbe versus Spanplatte, vielleicht sind unsere heimischen Holzarten ja viel gesünder?

Matratze und Bett stehen immer auch für einen Abdruck des Alltags und der Gesellschaft – ein Bild des Menschen in seiner „Lage“ … wie würden sie die aktuelle Situation beschreiben?

Im Moment gibt es zwei eher seltsame Entwicklungen in gegensätzliche Richtungen: Die eine Passt-für-alle-Matratze aus Restprodukten der Erdölindustrie, die in Matratzenform gepresst mit Unsummen im Fernsehen beworben und verkauft wird. Man muss einen Vorteil zugestehen: Sie sind extrem billig. Die andere Seite der Bett- statt sind Boxspringysteme in edel, die über 20 000 Euro kosten können, deren ergonomische Funktion bei einem Aufbau von 90 Zentimetern Höhe aber rein gesundheitlich mit dem Märchen von der Prinzessin auf der Erbse erklärbar ist. Wenn diese zugegeben aufwändig und mit edlen Materialien produzierten Kompositionen den Schlafkomfort wirklich verbessern sollten, dann vermutlich nur, weil man weiß, dass sich der Nachbar dieses Bett nicht leisten kann, oder weil man noch auf Partnersuche ist – und da ist der Nestbau ja wie bei Vögeln ein wichtiges Kriterium.

Ehrliche Hersteller von vernünftigen Naturbettsystemen sind aufgrund der gestiegenen Kosten in der Bredouille, denn sie können im Luxusbereich nicht ausreichend Status und Prestige bieten, sie haben aber auch nicht das Werbeetat, um die gesundheitliche Wirkung von Naturmaterialien und Ergonomie in der Mitte zu vermitteln. In einer Zeit, in der jeder glaubt, alle Informationen aus dem Internet zu bekommen, wird die ehrliche und kompetente Beratung im Fachgeschäft immer schwieriger – gleichzeitig aber auch wichtiger.

Es gibt nicht viele Dinge, die dem Menschen über lange Zeit so nah und vertraut sind wie die Matratze: Schließlich verbringen wir ein Drittel unseres Lebens im Bett und hinterlassen unseren Abdruck auf diesem stummen Zeugen des Lebens. Was macht eine gute Matratze aus?

Zuallererst sollte sie nicht älter als 15 Jahre sein, denn in dieser Zeit nimmt sie über 3000 Liter Flüssigkeit auf, was der Hygiene eher abträglich ist. Außerdem kommen für uns nur Matratzen aus Naturmaterialien in Frage, meist aus Naturkautschuk, der mit dem Latex aus Erdölderivaten der Reifenhersteller nichts zu tun hat. Denn tatsächlich stammen ursprünglich die Latexmatratzen von Reifenherstellen, weshalb Dunlop, die Matratzen Dunlopillo herstellt, Michelin mit Lattoflex, Pirelli mit Coco-mat oder Bridgestone mit Airweave verbandelt ist. Die Reifen mögen ein tolles Fahrerlebnis um enge Kurven ermöglichen, aber wer will außer Rennfahrern mit Benzin im Blut schon auf diesen Materialien schlafen?

Gottseidank gründete sich der Qualitätsverband umweltverträgliche Latexmatratzen (QUL e.V.) bereits 1994. Er garantiert, dass der Latex von vielen verbundenen Naturmatratzenherstellern ausschließlich aus Naturkautschuk mit volldeklarierten Zusatzstoffen besteht, die man zum Aufschäumen benötigt.

Was ist das Besondere an Naturlatex?

Das Material zeichnet sich durch seine Punktelastizität und Klimaregulierung aus und gilt als umweltfreundliche Alternative zu synthetischen Materialien. Der QUL e.V. legt großen Wert auf die Schadstoffkontrolle von Naturlatexmatratzen und hat eines der strengsten Siegel im Matratzenbereich entwickelt. Es garantiert, dass die Matratzen umfangreichen Schadstofftests unterzogen wurden, um die Sicherheit und Gesundheit der Verbraucher zu gewährleisten. Durch die Verwendung von Naturmaterialien, die aus nachwachsenden Rohstoffen stammen, leisten Käufer solcher Matratzen zusätzlich auch noch einen Beitrag zum Umweltschutz.

Aber die Matratze allein kann keine perfekte Ergonomie bieten …

Dazu verwenden wir deshalb Federelemente unter der Matratze, die durch die 40 Holzlamellen auf Latexstreifen bereits beim ersten Probeliegen ein völlig neues Liegegefühl vermitteln. Dieses ist durch das Herausnehmen oder Verdoppeln von Lamellen zusätzlich noch auf die ganz persönlichen Bedürfnisse, auf die Figur, das Gewicht und Vorlieben reversibel einstellbar. Wer diese Anpassung einmal gespürt hat, will von schwabbelnden und elektrisch beheizten Wasserbetten oder mit schlecht durchlüfteten Boxspringsystemen und erst recht mit Matratzen für die Schwerelosigkeit nichts mehr hören.

Warum lassen sich mit einem passenden Bett nebst Matratze viele gesundheitliche Probleme vermeiden? Was können Sie empfehlen?

Niemals werden wir bei unserer Bettgestaltung Gesundheitsversprechen machen. Denn schon der Mensch, der neben einem liegt, hat einen größeren Einfluss auf den Schlaf als jede Matratze. Und dann gibt es auch noch das Alter, das sich bemerkbar machen könnte. Aber wenn man Beziehungsgeschichten und „Methusalemisches“ außeracht lässt, gibt es schon einige objektive Kriterien für die Gestaltung eines gesunden Schlafplatzes. Zum Beispiel mit Naturharzöl veredeltes Massivholz für das Bettgestell, weil es das Raumklima positiv beeinflusst. Ein flexibel einstellbares Bettsystem aus Naturmaterialien, das mit Zudecken, Bettauflagen und Kissen auf alle persönlichen Vorlieben angepasst ist. Aber das Wichtigste: Ein Mensch, der einfühlsam diese vielen Kriterien, über die man selbst entweder zu viel oder noch nie nachgedacht hat, im ausführlichen Gespräch erarbeitet, daraus die richtigen Vorschläge schmiedet und auch Jahre danach für alle Anpassungen, Ergänzungen und Veränderungen bereitsteht. Bei uns ist das Ute Danzer, die für ihr ergonomisches Lebenswerk als Rückenschulleiterin mit dem Innovationspreis Ergonomie 2023 ausgezeichnet wurde.

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